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Belastungsdynamiken bei Führungskräften

Verantwortlicher Autor: Prof. Dr. Richard Streich Paderborn, 05.04.2024, 11:35 Uhr
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Belastungsdynamiken bei Führungskräften
Belastungsdynamiken bei Führungskräften  Bild: Bild: TU Berlin

Paderborn [ENA] Die zunehmende Komplexität in der Führungsaufgabe, die Auflösung hierarchischer Strukturen, die verlangte Vorbildfunktion, die Anforderung, als „Change-Agent“ die Unternehmensentwicklung mitzubestimmen und vieles andere mehr verlangen von der Führungskraft besondere Fähigkeiten.

Sie sollen Kraft ihrer Persönlichkeit Veränderungsprozesse bei sich selber und in ihrem sozialen Umfeld initiieren, realisieren und regulieren. Bei erfolgreichem Handeln entwickelt sich im Zeitablauf eine Führungskraft zu einer sozial akzeptierten Führungspersönlichkeit. Berufliche Karrierewege sind dabei oftmals gekennzeichnet durch einen permanenten Anstieg des Arbeitsvolumens, verbunden mit gestiegenen eigenen und fremden Erwartungen und Anforderungen an die Arbeitsqualität. Hinzu kommen Aspekte wie z.B. einer Informationsüberflutung und eine allzeitige Erreichbarkeit durch technische Medien. Als Folge können sich dauerhafte emotionale, physische bzw. psychische Erschöpfungszustände ergeben (vgl. Hofmann, 2015).

Ordnen Führungskräfte z.B. ihre Zielvorgaben als extrem hoch ein, so erleben sie gesteigerten Stress, der sich im Rahmen der Zielprozesse in Ärger bzw. Angst niederschlagen und letztlich zu destruktiven Führungshandeln führen kann (vgl. Regnet, 2020). Dies führt wiederum zu negativen Reaktionen aus ihrem sozialen Umfeld, was weitere Stress- und Belastungsempfindungen auslöst. Solche Belastungszustände sind bei Leitungspersonen – auch aufgrund ihrer anspruchsvollen Selbstbewertung in ihrer Führungsrolle – nicht selten und münden oftmals in einem Burn-out.

Während Stress eine natürliche Reaktion des Körpers auf Überbeanspruchung ist und größtenteils von außen ausgelöst wird, zeichnet sich Burn-out vornehmlich durch eine innere Dynamik aus. Chronischer Stress kann zu Burn-out führen (vgl. u.a. Burisch, 2010; Hansch, 2014). Hilfreich ist es, sich als Führungsperson solcher Dynamiken bewusst zu sein und zu wissen, in welchen Phasen ein Burn-out sich gestaltet und eskaliert. Die folgende Abbildung veranschaulicht etablierte Burn-out-Eskalationsstufen und beschreibt die einzelnen Merkmale je Stufe.

Folgende Merkmale (vgl. Töpfer, 2012; Freudenberger/North, 2012) kennzeichnen die vorgestellten Burn-out-Eskalationsstufen: 1) Sich beweisen müssen: Sie erledigen Ihre Arbeit mit viel Enthusiasmus. Der Wunsch, sich und anderen etwas beweisen zu wollen, ist sehr stark. Sie beginnen, Ihre eigenen Bedürfnisse zu vernachlässigen und Ihre Kräfte zu überschätzen. 2) Noch mehr Einsatz bringen: Um Ihren eigenen Ansprüchen gerecht zu werden, arbeiten Sie besonders hart. Sie können nur schlecht Aufgaben an Andere delegieren und halten sich für unentbehrlich.

3) Eigene Bedürfnisse hintenanstellen: Sie leben für den Job und haben keine Energie mehr für Freunde, Hobbys, Sex oder die Familie. Häufig steigt der Konsum von Alkohol, Nikotin oder Kaffee. 4) Konflikte und Bedürfnisse verdrängen: Es geht Ihnen nicht gut, aber Sie wollen nicht wahrhaben, was der Grund für Ihr Befinden ist. Unpünktlichkeit, Vergesslichkeit oder schlechte Arbeitsleistungen mehren sich. 5) Werte umdeuten: Freundschaften, Hobbys, Ehrenämter – was Ihnen früher wichtig war, wird zunehmend zu einer Belastung. Es zählt nur noch der Job. Sie fühlen sich emotional abgestumpft; in der Partnerschaft kommt es jetzt häufig zu Streitereien.

6) Eigene Probleme leugnen: Noch verdrängen Sie Ihre Probleme. Doch Ihnen fehlt die Anerkennung für Ihre Leistung, Sie gehen ungern zur Arbeit und erste körperliche Symptome (z.B. Schlafstörungen) treten auf. Zynismus und Intoleranz nehmen zu. 7) Sich zurückziehen: Sie fühlen sich hoffnungs- und orientierungslos. Ihr soziales Umfeld überfordert Sie und Sie isolieren sich zunehmend. Alkohol und Drogen dienen jetzt häufig als Entspannungshilfen 8) Sich stark verändern: Selbst nett formulierte Kritik werten Sie als persönlichen Angriff, Ihre Freunde, Familie und Kollegen bemerken, dass sich Ihr Wesen stark verändert hat.

9) Das Gefühl für sich selbst verlieren: Sie fühlen sich wertlos und haben kein Gespür mehr für Ihre persönlichen Bedürfnisse. Dafür dominiert das Gefühl, nur noch wie eine Maschine zu funktionieren. 10) Innere Leere: Sie fühlen sich ausgezehrt und bewältigen Ihren Alltag nur mit großer Mühe. Das Risiko für Angst- und Panikattacken steigt. Häufig wird versucht, die Anspannung durch Fressorgien, Frusteinkäufe oder exzessiven Sex abzubauen.

11) Depression: Sie sind verzweifelt, haben keine Energie mehr und fühlen sich niedergeschlagen. Das Leben erscheint Ihnen sinnlos. Häufig kommen in dieser Phase Selbstmordgedanken auf. 12) Burn-out-Erschöpfung: Der psychische und körperliche Zusammenbruch ist lebensgefährdend. Ihr Immunsystem ist angegriffen, das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen steigt. Sie benötigen dringend ärztliche Hilfe.

Oftmals sind sich Führungskräfte ihrer aktuellen Burn-out-Position nicht bewusst. Sie sind geprägt von der Einstellung, jederzeit leistungsbereit und leistungsfähig sein zu müssen, um die täglichen Herausforderungen meistern zu können. Überbelastungen in der Führungsrolle bergen – wie ausgeführt – die Gefahr eines Burn-outs. Unterforderungen sind im Gegensatz dazu durch Bore-out-Phänomene gekennzeichnet. Man will mehr leisten aber man darf es nicht. Während im erstgenannten Fall eine permanente Überforderung eine Gefahrenquelle darstellt, sind es im letzteren die mangelhaften Möglichkeiten zur Realisation eigenen Ansprüche in der Führungsrolle, die psychische und physische Probleme hervorrufen können.

Es entsteht auf Dauer eine Unzufriedenheit im Rahmen der Arbeitsverrichtung. Eine solche Empfindung ist z.B. geprägt durch Langeweile oder Desinteresse am Arbeitsplatz. Bore-out-Gefährdete suchen i. d. R. zunächst die Herausforderung und Anerkennung im Job. Wenn diese Motivatoren z.B. nicht durch ein adäquates Arbeitsumfeld realisiert werden können, stellt sich im Zeitablauf eine Bore-out-Mentalität ein.

Nicht selten ist dann eine Negativspirale die Folge. Das soziale Umfeld nimmt das Desinteresse war und nimmt weniger Kontakt auf. Qualitative Arbeiten werden nicht mehr übertragen, sondern es werden vermehrt minderwertige Aufgaben an solche Personen delegiert. Sie erlangen weniger Anerkennung durch Mitarbeiter, Kollegen oder der zugeordneten Führungskraft und auch die Kommunikationsintensität lässt nach, was wiederum den Bore-Out intensiviert usw., usw. (vgl. Rothlin und Werder 2007, 2009).

Wichtig zur individuellen Bore-out- und Burn-out-Prävention und -Handhabung ist es, sich mit seinen Stärken und Schwächen zu konfrontieren, sein Selbst- und Fremdbild im Dialog mit dem sozialen Umfeld (Kollegen, Freunden etc.) abzugleichen und sich realistische Ziele für die beruflichen Herausforderungen zu setzen. Auch ist es sinnvoll, sich seiner Denk- und Handlungsweisen bewusst zu werden. Was sind die „Treiber“ meiner Gedanken und meines Tuns? Welche „Glaubenssätze“ (z.B. „sei perfekt“) bestimmen meine Aktivitäten im Beruf? Über welche Energiequellen bzw. Ressourcen verfüge ich, um den Anforderungen in einer Führungsrolle erfolgreich begegnen zu können und um mich zu einer Führungspersönlichkeit zu entwickeln?

Erfolgreiche Bewältigungsstrategien sind dabei gekennzeichnet durch:die Möglichkeit und Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, -reflexion, -regulierung und -stabilisierung / ein kontinuierliches Selbstmanagement im konstruktiven Dialog mit der eigenen Umwelt und eine hohe Umsetzungskompetenz für veränderte Verfahrens- und Verhaltensweisen (vgl. u.a. Hoyle, 2010; Freisler/Greßer, 2020).

Ein Team um Prof. Dr. Wessa am Leibniz-Institut für Resilienzforschung der Universität Mainz bietet für Betroffene das Online-Programm „Auf Kurs bleiben kompakt“ an. Es umfasst vier Lektionen mit Audio- und Videomaterial sowie interaktiven Übungen. Das Programm trainiert Strategien, um in schwierigen Situationen gelassen und zuversichtlich zu bleiben und hilft beim Aufbau von Selbstfürsorge und Optimismus. Der Kurs ist kostenlos und anonym, also ohne Registrierung nutzbar (www.resilienz.aufkursbleiben.uni-mainz.de).

Literaturverzeichnis: Burisch, M.: Das Burn-out-Syndrom, 4. Aufl., 2010 / Freisler, R./Greßer, K.: Leadership-Kompetenz: Selbstregulation, 2018 / Freudenberger, H./North, G.: Burn-out bei Frauen, 2012 / Hansch, D.: Burnout, 2014. / Hofmann, E.: Wo brennt es beim Burnout?, 2015 / Hoyle, R.H. (Hrsg.): Handbook of Personality and Self-Regulation, Blackwell Publishing, 2010 / Regnet, E.: Der Weg in die Zukunft – Anforderungen an die Führungskraft, in: von Rosenstiel, L./Regnet, E./Domsch, M.E. (Hrsg.): Führung von Mitarbeitern, 8. Aufl., 2020, S. 50 / Rothlin, P./Werder, P.R.: Die Boreout-Falle, 2009 / Töpfer, K.: Gelassen im Job, in: FOCUS-Gesundheit, Die Psyche stärken, 2012, S. 134ff. / www.resilienz.aufkursbleiben.uni-mainz.de.

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